Mari Lena Rapprich

Mari Lena Rapprich ist Künstler:in, Kurator:in und Research und arbeitet derzeit zwischen Bremen und Tunis. In ihrer künstlerischen Arbeit bewegt sich Mari Lena zwischen systematischer Zeichnung, überlagerten Linien und experimentellen Klanglandschaften. Ausgangspunkt sind häufig Schreib- und Ordnungssysteme, denen sich die Hand unterzuordnen hat. Vorhandene Systeme dienen als Handlungsanweisung für zeichnerische und/oder auditive Prozesse, in denen die Wiederholung, rhythmische Bewegungen, das Scheitern als produktiver Moment und Zeitlichkeit angelegt sind. 2020 publizierte Mari Lena das Künstler:inbuch «Repeat» mit dem dazugehörigen Tape «24:06». Aktuell forscht Mari Lena künstlerisch wie wissenschaftlich zur Analogie von Zeichnen und Weben sowie zu Ton im Film.

Seit 2023 forscht Mari Lena mit ihrem Projekt «weaving» künstlerisch wie wissenschaftlich zur Analogie von Zeichnen und Weben. Dabei erprobt Mari Lena die Technik des Handwebens von Teppichen und Textilien und transformiert die Technik des Webens und die Abfolgen der Hand in andere Medien wie Papier, Klang und bestehende Textilien. Die Technik des Webens verbindet körperliche mit gedanklichen Handlungen und verwebt Zeit, Material und Geschichten. In Teppichen und Textilien archaische oft weiblich konnotierte Technik, die als ästhetische, politische und poetische Geste verstanden werden kann. Durch die rhythmische Wiederholung der Bewegung und des Webens formen sich Linien, Muster und Klänge, die nach und nach erfahrbar werden. In ihrer künstlerischen und wissenschaftlichen Praxis sammelt Mari Lena textile, auditive, persönliche und historische Artefakten und formt so ein lebendiges Archiv an erzählten, handgefer tigten und physischen Objekten. Ebenso dient dieses zur Annäherung und Übersetzung, indem Motive, Strukturen und Prozesse aufgegriffen werden, in neue Kontexte transformiert werden und in Verbindung mit eigene Erzählungen und überlieferten Wissen gebracht werden. Diese Praxis ist zugleich eine kritische Reflexion kolonialer Blickregime, kultureller Aneignung und der Fragilität von Tradition im globalisierten Kontext. Das Weben wird so zum Akt der Verbindung, aber auch der Verantwortung und ein tastendes Forschen mit den Händen, in Fäden und Bedeutungen.

In 2025 startet Mari Lena mit ihrem Promotionsvorhaben «Soundscapes im Film: Eine Erweiterung des bestehenden Begriffskorpus der Filmwissenschaft für die audiovisuelle Analyse von Ton im Film» an der Universität Bremen. Das Projekt führt den von R. Murray Schafer entwickelten und in den Sound Studies etablier ten Begriff des Soundscapes in die Filmwissenschaft ein. Seit der Digitalisierung lässt sich eine Zunahme der Komplexität der Tongestaltung in der Filmproduktion feststellen. Seit den 1970er Jahren etabliert sich das Arbeitsfeld der Sound Designer:innen, wodurch Sound Design zunehmend auch als Forschungsfeld der Filmwissenschaft Anerkennung findet. Seither ist es möglich, eine höhere Komplexität des Hörbaren im Film zu beschreiben. Maßgeblich war hier die in den 1980ern entwickelte Theorie derAudio-Vision von Michel Chion – ein Begriffsmodell zur Beschreibung des Tons und seiner Verbindung mit dem Bild. Auf dieser Theorie basieren weitere Konzepte der audiovisuellen Analyse. Doch inzwischen zeigen sich Begrenzungen dieser Ansätze. Durch die Übertragung des Begriffs der Soundscape in die Filmwissenschaft soll eine präzisere Beschreibung der komplexen Tongestaltung im Film und ihrer Verbindung mit dem Bild ermöglicht werden, so die Hypothese dieses Promotionsvorhabens.

Ebenfalls in 2025 startet Mari Lena ihr interdisziplinäres Projekt «recap + listen», als ein fortlaufendes, individuelles sowie kollaboratives Vorhaben. Das Projekt fungiert als Verhandlungsraum, in dem sich unterschiedliche Perspektiven überschneiden und in kritische Reflexion treten. Das Projekt untersucht, wie wir zuhören, was wir hören und wessen Stimmen gehört werden, insbesondere in Kontexten, die von Macht, Kolonialisierung, Klasse und Diskriminierung geprägt sind. «recap + listen» hinterfragt etablierte Strukturen künstlerischer und akademischer Kanons und zielt darauf ab, marginalisierte oder oft überhörte Narrative durch dialogische Praktiken sichtbar zu machen. Dabei werden persönliche, institutionelle und ideologische Grenzen reflektiert. «recap» bedeutet, den Status quo zu erfassen, zu kontextualisieren und so komplexe Zusammenhänge und Geschichten offenzulegen, während «listen» empathisches und aktives Zuhören als Grundlage für Verständnis, Gemeinschaftsbildung und die Neubetrachtung der Frage, wer sprechen und gehört werden darf, betont. Zuhören wird zu einem Instrument der Solidarität, Anerkennung und Transformation. Mari Lena nutzt ihren künstlerisch-wissenschaftlichen Ansatz, um interdisziplinär Räume der Reflexion zu schaffen, in denen Theorie und Praxis verbunden werden. Das Projekt tritt in verschiedenen Formaten auf, arbeitet mit textuellen, visuellen und diskursiven Medien und fördert kollaborative Wissensproduktion, die auf Kontext, Partizipation und Austausch reagiert.


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